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Neue Kurzgeschichte zu <SELBST>/Zerstörung

Skyla: Der Weg der Wächterin

Skyla entwirrte ihre langen Ohrringe mit den fließenden Sternen zu ihrer Rechten und dann zu ihrer Linken. Mal wieder hatten sie sich in ihren langen welligen Haare verfangen, als sie unglaublich den Kopf schüttelte, nach den Datensätzen die Toive ausgespuckt hatte. Der linke Ohrring ziepte besonders stark, gleichzeitig verwandelte er ihre blaue Strähne mithilfe der filigranen Sterne in ein Abbild der Milchstraße.

Ihre kalten und zittrigen Finger erschwerten Uhr die Arbeit und entlockten ihr das ein oder andere Fluchen, welches zu direkten Abzügen auf ihrem Sozialkonto führte. Das Adrenalin pumpte immer noch hastig durch ihren Körper. Immerhin hatte sie gerade ihre Heldin lokalisiert. Die Person, dank der sie dem ASG bisher treu geblieben war.

»Endlich!« Skyla hüpfte jubelnd auf. »Freiheit für die Kopfhaut!« Hektisch und leicht errötet sah sich auf der Toilette um. Die Kabinen waren immer noch leer. Einzig ihr Spiegelbild und Toives Ohren leisteten ihr Gesellschaft. Sie tippte sich sanft an die Schläfe und beendete FOKUS.
»Endlich kann ich durchatmen.«
Ihre Schultern sackten nach unten. Auch ihre Fingerspitzen hörten auf zu vibrieren und das warme Blut gelangte endlich wieder zu ihren Händen. Wäre der Boden nicht so unattraktiv gewesen, hätte sie sich am liebsten drauf ausgestreckt. Stattdessen musste das Waschbecken als Stützte ausreichen.

Ob ich es auch wie sie machen könnte? Man es ist soooo nervig ständig das zu tun. Und Toives Störungen sind mittlerweile eher gruselig als unterhaltsam. Aber niemanden kümmerts. Außer mich. Nicht Mal Gwil nimmt das ernst. Wieso sehe immer nur ich allein, was sich schreckliches anbahnt? Allein schaff ich es nicht. Ich brauche ihre Hilfe.
Sie streckte sich nach vorne und hauchte ihr Spiegelbild an.
Ich meine, sieh dich an, Skyla. Was soll diese eine blaue Strähne bedeuten? Ist das der blaue Seidenfaden, an dem du deine Zukunft binden willst? Der dünne Halm von Rebellion gegen das verkorkste System? Ernsthaft? Und die Ohrringe? Ein Sinnbild für das, was ich aufgebe? Und trotzdem kann ich nicht aufhören zu lächeln, als wäre es eingemeißelt. Ihr wäre das nie passiert. Die Gerüchte sagen, sie lächle nie. Will ich so werden?

Ihr Kopf beugte sich der Gravitation und den schwermütigen Gedanken. Lange starrte sie auf den Rand des Waschbeckens, an dem ein wenig des Seifenwasser zum tristen Boden hinabtropfte.

Für welche Seite soll ich mich eigentlich entscheiden? Wessen Lächeln ist mir mehr Wert? Meins oder das der Welt?

<[FOKUS Notfallprotokoll aktiviert] Skyla Versala, du bist bereits 
10 Minuten auf der Toilette. Solltest du unter 
Magen-Darm-Beschwerden wie Magenentzündung oder Durchfall leiden, 
benachrichtige ich Meneva, dir eine Medi-Drohne zuzusenden.>

»Boah, Toive! Mir geht's gut! Und 10 Minuten ist nicht lang für einen Toilettengang. 
Die Welt wird nicht untergehen, nur weil ich mir einmal Zeit lasse. 
Immer stresst du rum. So unnötig!«

Auch ich will mir Mal Zeit lassen diesen düsteren Gedanken nahzuhängen ... 
Aber es sind diese düsteren Gedanken, die viele Wächter plagten und sie dazu beachten, die Welt zu zerstören, oder? 

Sie blickte auf und sah ihr Spiegelbild intensiv an.

Willst du auch so eine Wächterin werden, Skyla?

<Pflichtantritt, Abschied und die erste Begegnung>

Eine kurze Geschichte zu <SELBST>/Korrektur  Teil 1

Ausverkauft. Schon wieder. 
Jedes Jahr kam sie zu spät. Der Hype um das frittierte Hühnchen war selbst nach 280 Jahren ungebremst. 
Was war das nur mit Leuten und ihrem frittierten Geflügel? 
Lys seufzte.

Mittlerweile stand sie seit über einer Stunde an der Imbisskette an. Das taube Stechen in ihren Fingerkuppen ignorierte sie. Gestresste Familienväter, aufgeregte Teenager, angespannte Mütter, übermüdete Einzelgänger machte sie in der Schlange aus. 
Zu welcher dieser Gruppen würde sie wohl von einem Fremden zugeordnet werden? 
Die Schlange löste sich auf und ihre Gedanken ebenfalls. 
Sie schlurfte an das Ausgabefenster. Lys tippte mittels Augenbewegung eine Nachricht. 

»Ich hab's nicht mehr geschafft. Alles ausverkauft.« 
Sie schob ihre Hände tiefer in die Jackentaschen.  und ergänzte ihre Nachricht.
»Soll ich was anderes holen?« 
Sie ließ ihren Blick über die gesellige Abendstimmung der Metropole schweifen, bis die Textnachricht, eigentlich war es nur ein Sticker mit einem traurigen Küken, das verhungerte, sie dabei unterbrach.
»Ja, ist gut. Dann hole ich eben Karaage.« 
Makaber irgendwie, aber gut.

Auf dem Fluss, der mitten durch die Stadt floss, spiegelten sich die bunten LED-Lampen der Illuminationen und Neon-Reklamen. Sie mochte diesen Ort, obwohl hier tausende Menschen zusammenkamen. 
Es war laut, chaotisch und an manchen Laufwegen sehr eng. 
Geschenke musste sie in der Regel keine besorgen. Ihre Familie war nicht mehr am Leben. Ihre Pflegefamilie hatte ihre Pflicht erfüllt und sie war nicht länger Teil von dieser. 
Lys Freunde verbrachten die Zeit bei ihren Familien, die teils in den ländlicheren Gegenden wohnten. 
Sie war allein. Nun ja, nicht ganz. Es gab ein paar Kollegen, die sowas wie Freunde waren. Natürlich alles ASG-Beamte. 
Mit einem von ihnen verbrachte sie immer die Festtage. Es war ungezwungen. 
Sie aßen das frittierte Hühnchen und tranken Hirsesaft im Park. Sprachen nicht über die Arbeit, sondern über Bücher, Filme und die angesagten Restaurants der Metropole, wobei Lys die kleinen Imbissbuden bevorzugte.
Lys ging in einen nächstgelegenen Conbini und kaufte die letzten zwei Tüten Karaage. Damit das frittierte Huhn nicht komplett abkühlte, eilte sie zum Bahnhof. Schließlich dauerte es ungefähr dreißig Minuten, bis sie an jenem Park ankam.

Am Bahnhof war keine Spur  mehr von der Menschenmassen. Die meisten verzogen sich in ihre Häuser, um das Funkelfest zu feiern. Ursprünglich hieß es eigentlich Hoffnungsfest, allerdings setzte sich der Name nicht durch. Heute trug es den etwas kitschigen Namen Funkelfest. 
Lys fiel es schwer den Namen auszusprechen und dabei ernst zu bleiben. Sie zog Festtage als Bezeichnung vor. 
Am Bahnhof poppten zahlreiche Hologramme und Informationen in FOKUS auf, die von den facettenreichen Feiermöglichkeiten des Funkelfestes berichteten. 
Da war die glückliche Familie zusammensitzend an einem Esstisch mit üppigen Speisen und Geschenken unter einem Baum. 
Warum es Geschenke gab, daran konnte sich niemand mehr wirklich erinnern und die Wenigsten feierten es noch mit Geschenken. Es mangelte schließlich an nichts mehr. 
Ein aufdringliches Hologramm zeigte ihr die zweite Variante: ein romantisches Date. 
Lys kniff die Augen zusammen, ihr letztes Funkelfest-Date war schon mehr als fünf Jahre her. Sie schmunzelte. Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. 
Diese Leichtigkeit nochmal einmal fühlen können … 
Von der dritten Variante, die sie eigentlich feierte, gab es keine Reklame. Denn sie wurde totgeschwiegen. 
Es war immerhin die, die jenseits des Funkelns der bunten und imposanten Beleuchtungen stattfand. 
Frittiertes Huhn mit Hirsesaft im Park essen, war nämlich alles andere als funkelmäßig.

Das melodische Gedudel der U-Bahn riss sie aus den Gedanken. 
Sie hatte freie Auswahl bei den Sitzen und beanspruchte die lange Sitzbank. Das große Fenster gegenüber bot ihr ein beeindruckendes Panorama auf die Metropole. In einem sichelförmigen Streckenverlauf erklomm die stählerne Raupe die Berge um die Metropole. Auf dem Höchsten Punkt sah sie auf das rötlich schimmernde Meer und die vielen Lichter, die jetzt, wie die im Zug, angingen. 
In einer langen Kurve erhaschte sie einen ersten Eindruck von den Illuminationen des Parks. 
Dort traf sie sich immer mit ihm. Da der Park eher abseits und im ländlichen Wohndistrikt lag, wurde dieser verhältnismäßig wenig besucht, als der, der im Geschäftsbezirk der Metropole lag. Also ein guter Ort, um andere ASG-Beamte zu meiden.

Die Bahn stoppte und Lys schlenderte durch den winzigen Bahnhof hin zum einzigen Ausgang. Sie ging ein gutes Stück zu Fuß. FOKUS beglückwünschte sie zu ihrer erreichten Schrittzahl. 
Am Eingang hielt sie inne und ließ die eindrucksvollen Hologrammen auf sich wirken. 
Schwebende Drohnen und Projectionmapping verwandelten den Park in ein weißes Winterwunderland, ohne dass dafür Schnee nötig war. 
Selbst die SecBots blieben vom Funkelfest nicht verschont und hatten bunte LED-Lichterketten umhängen. 
Skurril. 
Lys aktivierte FOKUS, um zu sehen, wo er auf sie wartete. Die gemeinsame Zeit an der ASG-Akademie wäre ohne ihn wohl niemals erträglich gewesen. Nur bei einem Fall hätte sie sich gewünscht ihn nicht gekannt zu haben. 
FOKUS navigierte sie zielstrebig zu ihm. Er sprang auf und zeigte auf sie.

»Ich kenne diesen Gesichtsausdruck.« 
Er stand ihr jetzt gegenüber. 
»Ach komm, wie oft, soll ich mich denn noch für diese Sache entschuldigen? Ja okay, deine Haare waren angesengt und jetzt sind sie halt kurz. Steht dir trotzdem.« 

Lys aufgedrehter Bekannter warf seinen langen Pferdeschwanz nach hinten.
»Wegen deiner Fehlprogrammierung ist uns eine Pumpe des wichtigsten Wasserkraftwerks der Metropole explodiert und hätte fast den Staudamm zerstört, Rei. Und mich mit.«

Rei winkte ab. 
»Ist aber nichts passiert außer deinem neuen Haarschnitt.« 
Er lächelte sie verschmitzt an. 
»Und den hattest du echt nötig!« 
Ein übertriebenes Zwinkern untermalte seinen sarkastischen Unterton.

»Unsere Einschätzung von Gefahr und Risiko wird sich nie angleichen. Also,« sie wühlte in der Maisplastiktüte herum, in der das Hühnchen war, »es ist schön lauwarm. Also nur noch mit fett durchtränktes Hühnchen.«

»Ah, lecker!« 
Sein Grinsen verschwand. 
»Dafür krieg ich morgen weder eine Warnung von Meneva.«

Sie setzten sich auf eine der Parkbänke. 
Lys öffnete die Dose des Hirsesaftes, reichte sie Rei und öffnete die andere für sich. 

»Auf den baldigen Abschluss an der ASG-Akademie!«
»Auf den Abschluss! Kanpai!«
Rei lachte. 
»Ich werde nie verstehen, warum du das Hühnchen nicht von dem Conbini dort drüben holst.«
»Weil es Tradition ist. Das war beim ersten Mal so, das ist auch beim letzten Mal so.«
»Für dich ist es also das letzte Mal? Dabei habe ich mich gerade in dich verliebt.«
Lys musterte ihn kritisch. »Wie oft hast du Erfolg mit dem Spruch?«
»Öfter als du denkst.« Rei nahm einen kräftigen Schluck des blubbernden Hirsesafts. 
Sie rollte mit den Augen. »Wenn du jemandem vorsätzlich Liebeskummer verursachst, straft Meneva das ziemlich streng mit einem Minus auf dem Sozialkonto ab. Erklärt vielleicht auch, warum du immer dieselben Sachen trägst.« 
Er stellte die Dose neben sich auf der Bank ab. 
»Verurteilst du mich dafür?«
»Ein bisschen schon, ja.«

Rei zuckte mit den Schultern und nahm die Dose wieder in die Hand. 
»Einmal hat sie mir so viele Punkte deswegen abgezogen, dass ich einen Monat keinen Strom bezahlen konnte. 
Ich meine, kannst du dir das vorstellen?«
»Auf sowas bist du wieder stolz.« Sie lächelte. »Ich verstehe echt nicht, wieso die Ältesten und Meneva dich für einen ASG-Posten ausgewählt haben.«
»Lys,« er wandte sich zu ihr mit ernster Miene, »ich weiß, dass du es sein wirst. Ich hab da so ein Gefühl. Das du jenen Posten annehmen musst. Ich war zum Glück ungeeignet, aber ich werde Ältester. 
Ich, der unzuverlässigste Mensch aller Zeiten. Keine Ahnung, was die mit uns vorhaben.« Er legte seine Hand auf ihre Schulter. 
»Rei, du machst mir Angst, wenn du so ernst bist. Und wieso sagst du nichts mehr?«
»Ich habe überlegt, ob ich dich zum Abschied küssen soll, was—«
Lys warf ihm einen ziemlich eindeutigen Blick zu.
»Das war natürlich nur ein Scherz! Unsere Freundschaft ist etwas Besonderes. Und du weißt, dass es weit mehr als Freundschaft hätte sein können. Aber du und deine Regeln und Pflichten und – okay, sieh mich nicht so an. Ich komme ja zum Punkt. Unsere Freundschaft muss von jetzt an im Verborgenen stattfinden.« Er nahm seine Hand von ihrer Schulter. »Statt eines Abschieds lass uns lieber ein letztes Mal Ausgelassenheit feiern.«

Lys senkte den Kopf. FOKUS blinkte auf und zeigte einen erhöhten Stresslevel an. Er wusste also, dass sie Wächterin wird. Es war beängstigend und zugleich irgendwie beruhigend, dass jemand von früher Bescheid wusste. Würde er ihr rasendes Herz, das voller Zweifel und Angst gefüllt war, schlagen spüren, würde er sich wohl in den Mülleimer gegenüber erbrechen. 
Lys schluckte. Es schmerzte. Wieder ein Abschied. Ab morgen war sie auf sich gestellt, bis zum Ende ihres Lebens.

»Ich werde deine dummen Sprüche und merkwürdigen Ansichten aufs Leben vermissen! Und es macht mir Angst, wenn du so ernst bist.« Sie wünschte ihre Stimme hätte nicht so gebrochen geklungen, aber diese Tränen ließen sich nicht unterdrücken.

Rei mit dieser Niedergeschlagenheit zu sehen, zog ihr den Brustkorb zusammen.
»Das letzte Stück lass ich dir.« Er stand auf und brauchte einen Moment bis er sich ihr wieder zuwandte. 
»Ich muss dann los, Lys. Versprich mir, dass du deine innere Rebellin nicht loswirst, nur weil du jetzt eine ASG-Beamtin im nächsten Jahr bist.«

»Nur wenn du mir versprichst, dass du deine Eigensinnigkeit als Ältester behältst.«

Rei nickte enthusiastisch und schritt dann Richtung Ausgang. Lys sah ihm nach, bis er verschwunden war. 
Dann warf sie die Getränkedosen und den Essensbehälter in den Müll. 
Sie schlenderte zur Aussichtsseite und betrachtete die funkelnden Lichter der Metropole. Der Wind wirbelte ihr durch die Haare. Es war komisch. 
Ihre Haare waren so kurz, dass sie sie nicht hinter die Ohren streichen konnte. Und das nur wegen Rei. 
Sie atmete tief durch und nahm dann einen der Aufzüge, die in das drunter liegende Einkaufszentrum führten. 
Die Fahrstuhl-Musik beschwor merkwürdig triste Gedanken in ihr herauf.
Kaum bis keinen Kontakt zu Freunden mehr zu haben. 
So sah ihr Leben demnächst als Wächterin aus. Frustriert schlug sie gegen die Aufzugwand. Der andere Fahrgast zuckte zusammen. 
»Da war eine Fliege.« 
Er schenkte ihr einen kritischen Blick auf diese unsinnige Aussage und ignorierte sie. 
Wie konnte ich nicht bemerken, dass hier jemand ist? Wie soll ich bloß Wächterin werden?  
Aber er war so unscheinbar. Mit seinem alten und übergroßen Mantel. 
Was sollten die riesigen Manteltaschen überhaupt? 
Sie begutachtete ihn von oben bis unten. Wäre sie eine Wächterin könnte sie jetzt einen Biodatenscan machen. Dann wüsste so, was da in den Taschen war. 
Schokolade? Taschentücher? Ein Buch aus Papier? 
Nein, niemand wäre so leichtsinnig ein Buch aus Papier einfach in der Manteltasche in aller Öffentlichkeit zu tragen. 
Lys Blick kreuzte sich erneut mit dem Mann. Sie zuckte zusammen und drückte dann hastig auf den Tür-öffnen-Knopf. Es brachte nichts. Der Aufzug stoppte schließlich in der Etage für Kinderspielzeug und nicht dazwischen. 
Der Mann verließ den Aufzug stumm. Lys sah ihm nach. Er wirkte zu speziell, um schon Vater zu sein. Die Aufzugtür schob sich zusammen. Ihr kam der Mann verdächtig vor. In letzter Sekunde drückte Lys den Tür-Öffnen-Knopf. 
Hin und wieder gab es Einsätze gegen Einzeltäterinnen und Einzeltäter, die Chaos und Angst verbreiteten. 
Vielleicht war er so einer! 
Lys folgte ihm, auch wenn ihr Bauchgefühl Entwarnung gab. Ihre Neugier war geweckt. Als Wächterin könnte sie diesem Drang nicht einfach nachgeben. Aber sie war noch keine. Nur eine Anwärterin, eine Wärterin, eine Nanotechnologin, eine Programmiererin und keine Wächterin.
Er drehte sich um. Lys ging in die Hocke und versteckte sich hinter einer Herde Plüsch-Giraffen und Tannenbäumen. Nach einer Weile sah sie über den Auslagentisch. Der Mann hatte sich nicht gerührt und sah sie amüsiert an. 

<Willkommen im Laden! Benötigen Sie Assistenz durch einen Service-Bot oder wünschen Sie eine Beratung durch einen Menschen?>

Der Service-Bot stupste Lys ständig an und wiederholte seine Worte. 

»Sh! Ich will keine Beratung!«

<Dann möchten Sie vielleicht über unsere Angebote informiert werden? Heute erhalten Sie zwei zu eins—>

»Sh! Ich hab gesagt, ach egal.« Lys klappte den Deckel unter der Kamera des Bots auf und projizierte mit FOKUS eine Tastatur, woraufhin das freundliche Gesicht – zwei Kreise und ein U-förmiger Mund– verdunkelten. Der Roboter erstarrte und verstummte.
Wieso man euch nicht einfach so ausschalten kann, verstehe ich bis heute nicht.
Ihr Sichtfeld blinkte rot auf. FOKUS überlagerte ihr Blickfeld mit Textnachrichten.

Txt_input/ WARNUNG!

<Hacking an Zivilroboter erkannt!>

Lys Herz schlug schneller.

<Pulsschlag stark erhöht!>

Sie versuchte FOKUS auszuschalten.

<Lys Deĵoro, Sie haben folgendes Verbrechen begannen:

Umprogrammieren eines zivilen Roberts ohne Erkenntnis auf Gefährdung der Öffentlichkeit durch diesen Roboter.>

Verdammt! Was mach ich jetzt?

<Leite Übermittlung des Strafbestandes an Aekwitas weiter.>

Lys sprang auf. Nein! Was soll das?!

Sie tippte und wollte eine Fallakte ausfüllen. 
Verfolgung eines Verdächtigen.
Doch die Daten wurden jedes Mal gelöscht.

<Lys, was hast du denn schon wieder angestellt?>

Meneva?

<Gerade habe ich die Strafbestandübermittlung vom ASG Amerika bekommen und dass du wahllos hilflose Service-Bots hackst. In einer Woche bist du Wächterin. Diese Verantwortungslosigkeit muss aufhören. Das ist schon der vierte Roboter diesen Monat. Dein unpassendes Verhalten ist nicht tragbar für das ASG Asien. Wir müssen das behandeln. 
Lys, bitte begib dich nächste Woche zu einem Genesungshaus.>

Sie tippte auf ihrer projizierten Tastatur. Die Worte von Meneva, die Datenauswertungen und Infos, zeigte FOKUS allein ihr. 

»Heißt das, du löscht den Strafbestand?«

<Natürlich, sonst müsste ich eine neue Wächterin auswählen. Aber ich habe mich für dich entschieden.>

»Meneva, weißt du, ob der Mann gefährlich ist?«

<Hmm. Du zeigst ein ungewöhnlich starkes Interesse an ihm. Warum?>

»Nein, tu ich nicht!«

<Deine Daten sagen was anderes, Lys.>

»Was willst du mir unterstellen? Beantworte meine Frage, Meneva!«

<Kein Grund so zickig zu werden. Diese Hormone immer. Von ihm geht keine Gefahr aus.>

»Und wer ist das?«

>Ich habe deine Frage beantwortet, die den Schutz deiner Mitbürgerinnen und Mitbürger dient. Diese Frage jedoch, interessiert nur dich. Und könnte ich schmunzeln, würde ich jetzt schmunzeln. Nur als Info für dich.>

Lys sah sich im Kaufhaus um. Doch von ihm war keine Spur mehr.

»Es ist nur so selten, dass jemand meine Aufmerksamkeit weckt.«

<Lys, wenn es dich tröstet, etwas sagt mir, dass ihr euch beide bald begegnen werdet.>

Lys schloss FOKUS. Meneva konnte sowas eigentlich nicht äußern. In letzter Zeit war sie erstaunlich menschlich geworden. Manchmal jagte es Lys einen kalten Schauer über den Rücken, doch dieses Mal erfüllte es ihre Brust mit einer wohligen Wärme

<Der erste Schnee, die Begegnung und der Klang des Aufbruchs>

Eine kurze Geschichte zu <SELBST>/Korrektur Teil 2

Das neue Jahr zaubert den Menschen immer ein ganz bestimmtes Lächeln ins Gesicht. Fast als wäre vergessen, was davor geschah. Ein Neustart. Ich könnte nie vergessen, was war. Nicht, nachdem ich jenes Buch gelesen und die Wahrheit eigenhändig im alten Archiv heraus gegraben habe. Deswegen habe ich beschlossen, dass das neue Jahr mit dem Tod beginnt. Heute bete ich für meine Wiedergeburt. 

Thomas stand in der Schlange. Sie war lang, obwohl es mitten in der Nacht war. In ungefähr zwei Stunden würde die Sonne das neue Jahr in ihre warmen, doch distanzierten Infrarotstrahlen tauchen. Bis dahin galt es, zum Tempel zu fahren und die Glocke zu läuten. Obwohl es das Jahr 2291 war, hatte sich dieser Brauch gehalten. All die Jahre, durch all die Krisen und Katastrophen hinweg, bemühten sich die Menschen, in der ersten Nacht des neuen Jahres die Glocke zu läuten. 

Lächerlich.

Das traditionelle Dudeln der einfahrenden U-Bahn signalisierte ihm und den anderen Menschen, mehr Platz zu schaffen.
Wie ein Schwall strömten die Menschen von der U-Bahn durch den gebildeten Kanal hinaus aus dem Bahnhof.
Sicher hätte er in den großen Tempel direkt neben dem Bahnhof hingehen können, da, wo die meisten Menschen hin wollten. Aber eine Geburt sollte nicht im großen Trubel stattfinden, sondern in einem Ort, der Ruhe und Harmonie verbreitet.
Er kreiste seine Schultern und ließ den Nacken knacken. Er musste sich locker machen, um möglichst geschmeidig zu sein, wenn er gleich von verschiedenen Fremden in der Bahn zerquetscht wurde.
Thomas konnte über ein paar Teenager hinwegblicken, zum Fenster hinaus, das in der Tür eingelassen wurde.
Er hatte gehört, dass in Europa die Züge fast nur aus transparentem Material bestand, wie das wohl von außen ausgehen hätte, dieser Menschenbrei, den diese U-Bahn gerade transportierte.
Die Stadt glitzerte mit ihren vielen Drohnen am Himmel, den imposanten Wolkenkratzern und den mit LED behangenen Grünflächen. Nach den vielen dunklen Tunneln sog er das Lichtspektakel in sich auf.
Wo er hin wollte, würde es kein Licht mehr geben.
Ein Abschied von allen, die ihm wichtig waren. Ein stiller Abschied. Unfair gegenüber seiner Familie, aber es war besser so. Er musste die Wahrheit verbreiten. Der freie Wille, allein, dass das Wort gelöscht wurde aus allen Büchern, Magazinen, Filmen und Serien, aus den Gedanken und Wortschätzen der Menschen? 

Sicher auch selbstverschuldet. 
Niemand interessierte sich für diese unbequeme Wahrheit. Es gab alles. Umsonst. Ohne Anstrengung, ohne Fleiß. Man wurde geboren, man lebte, man starb.
Wiederholung. Wiederholung. Wieder—

Die U-Bahn hatte den Berg erklommen. In seiner Brust zog sich alles zusammen. Einige Tränen pressten sich aus seinen Tränenkanälen.
Die Metropole von hier zu sehen, war immer ihr Lieblingsort gewesen. Du hast mich immer verstanden. Du wirst wissen, wieso ich das tue, aber ich weiß, dass du mir niemals vergeben wirst, Lys.

Er löste die Umklammerung am Haltegriff über sich und wischte sich die Tränen ab.
Abschiede waren nie für immer. Damit ist er aufgewachsen. Jetzt das Gegenteil zu erfahren, brach etwas in ihm, von dem er nicht wusste, dass er es besaß.

»Endstation. Mirai-Tera. Mirai-Tera. Mirai-Tera. Bitte alle Fahrgäste aussteigen.«

Die Menschen schoben sich hinaus. Endlich dehnte sich seine Lunge wieder ganz aus. Thomas spürte, wie die Angst langsam nachließ. Doch seine zittrigen Hände signalisierten ihm, dass das nicht richtig war.
Er versuchte, den Kloß im Hals hinunterzuschlucken. Vergeblich.
Im Trott folgte er der Menschenmenge, die ebenfalls zum Tempel unterwegs waren.
Der Zukunftstempel, genannt Mirai-Tera, entstand, als Carnma fast die Welt zerstörte. An welche Gottheiten man hier um Beistand und Unterstützung bat, wusste Thomas nicht. Er tat es einfach.
Die Tempelanlage war groß. Sein Ziel war nicht der Haupttempel, sondern ein kleiner unauffälliger Schrein nahe einem kleinen Wasserfall.
Dieser lag einige Meter höher als der Haupttempel. Keuchen erklomm Thomas die zahlreichen Stufen. Immer wieder machte er Pausen und hauchte den warmen Atmen in seine taub werdenden Finger.
Jedes Mal, wenn er hierauf stieg, war er allein. Doch dieses Mal hörte er den Schlag der kleinen hellen Glocke. 
Eine zierliche Frau, gekleidet in einem rosafarbenen Mantel, mit aufwändigem Haarschmuck, klatschte in die Hände und senkte den Kopf.
Es gab wenige LED-Laterne, sodass er sich ihr nähern musste, um ihr Gesicht zu erkennen.
Unter ihrem Mantel ragte ein edler, mit Goldfäden bestickter Kimono hervor. Selten sah man noch die einst traditionelle Kleidung.
Jemand, der sich in etwas so Unbequemes zwängen konnte, könnte jede Wahrheit ertragen, oder?
Die Frau verbeugte sich und wandte sich ihm zu.

»Ziemlich unhöflich, jemanden beim Beten zu beobachten.«

Thomas zuckte zusammen.

»Es war nur—«

Sie lachte. »Schon gut. Mein Outfit zieht sowieso alle Blicke auf sich. Das soll es auch.«

»Warum?«

»Weil ich so das Gefühl habe, ich selbst sein zu können, und nicht einfach nur irgendjemand, der etwas für alle tut.«

Sie schreckte zusammen und hielt ihre Hand vor dem Mund.

»Das hab ich nicht so gemeint, wie es klang.

Ich wollte sagen—«

Thomas schloss für eine Weile die Augen, um FOKUS auszuschalten. »Du hast es gelesen, oder?«

»Der Wald ohne Zugang? Meinst du das?«

»Nein, doch nicht diesen kommerziellen Mist.«

»Yu Kishidas Bücher sind zwar Bestseller, aber im Subtext, steckt viel drinnen.«

Thomas stutzte.

»Ich meinte, jenes in Ledergebundene, das hier in der Spendenbox ruht.«

Thomas ging auf sie zu, er täuschte eine Bewegung an, die Spendenbox zu öffnen, griff aber dabei in die Manteltasche der Unbekannten.

»Ich meinte, das hier.«

Sie wich zurück.

»Bist du einer vom ASG? Ich werde nicht wieder in eine Rehabilitationsanstalt gehen. Ihr habt meinen Mann und mein Kind getötet. Ich weiß nicht mal, wieso!«

Thomas schmunzelte. »Ich vom ASG?«

Sein lautes Lachen hallte durch die Berge.

»Tatsächlich ja. Ich bin Archivar. Aber heute sterbe ich, um wiedergeboren zu werden.«

»Was soll das bedeuten?«

Thomas näherte sich ihr und ließ mit einer Hand das Buch zurück in ihre Manteltasche gleiten und strich ihr mit der anderen Hand sanft übers Gesicht.

»Als ich herkam, dachte ich, ich müsste es alleine angehen. Verlassen von allen. Im Kampf gegen die quantenmechanischen Bestien. Aber dann standest du hier. Hast gebetet. Allein, das ist etwas Besonderes. Das ist ein Zeichen.«

»Wovon sprichst du?«

Thomas entfernte sich von ihr. Er genoss die klirrende Luft in seinen Lungen, das Brennen, das sie verursachte, und blickte auf die Menschenmenge am Haupttempel herab.

»Sieh sie dir an. Gedankenlos, gesteuert von den KI, den Ältestenrat und den heroischen Wächtern. Jeden Tag durchlaufen sie ihre Funktion. Ohne eigene Gedanken zuzulassen. Ohne die Welt mit ihren Augen zu sehen. Sie hören, was sie hören wollen. Sie sagen, was schon tausende Male gesagt wurde. Dann verstummen sie. Und die nächste Generation ersetzt sie. Wiederholung um Wiederholung. Das endet jetzt! Das ist kein Leben. Das ist eine Funktionsweise, die ich beenden werde!«

Er öffnete seine Arme und blickte ihr tief in die Augen.

»Unbekannte, deren Namen mir nicht offenbart wurden, ich höre den Schmerz in deiner Stimme.«

Er ging auf sie zu, griff nach ihren Händen und sah sie lange an.

»Willst du an meiner Seite sein, wenn ich der Welt das schenke, was sie verloren hat?«

»Ich heiße Aster Charles.«

Ihre kühlen Finger glitten in seine.

»Du bist etwas wahnsinnig, wenn du denkst, dass du die KI und das System umkrempeln kannst, -«

»Thomas Redwood.«

»Thomas. Aber dieser Wahnsinn macht es vielleicht das Unmögliche möglich.«

Sie küsste ihn zärtlich.

»Sollte es schneien, werde ich bedingungslos an deiner Seite stehen.«

»Schnee? Was hat Schnee damit zu tun? Du musst es in dir fühlen. Dieses Feuer! Das Begehren nach Fortschritt! Nach Gerechtigkeit!«

»Sie löste sich von ihm. »Als ich meinen Mann kennenlernte, schneite es. Das ist fast zehn Jahre her. Schnee ist mittlerweile so selten geworden, dass es kein Zufall sein kann, wenn er fällt. Verstehst du?«

Thomas schmunzelte.

»Du willst wissen, ob ich nicht nur bluffe? Einverstanden.«

Er ging zu einem der nahegelegenen Getränkeautomaten, trat mit voller Kraft dagegen und löste ein Modul heraus.

Keuchend und mit leicht blutigen Fingern fummelte er an dem Gerät herum. Er schloss einiges zusammen mit den Inhalten, die er in seinen Jackentaschen fand, und legte es in seine Handfläche.

»Ich lasse es für dich schneien. Ich nehme mit dir Rache für deinen Verlust. Gemeinsam können wir die Welt zu einem besseren Ort für alle machen.«

Aster kam auf ihn zu.

»Ich dachte, du hast ein Hologramm gebaut. Aber das ist wirklich beeindruckender.«

»Es ist ganz einfach: durch die Lichtbrechung und die minimale Bewegung wirken die Sterne wie fallende Schneeflocken.«

Er stopfte das Konstrukt in seine Tasche.

»Wie sieht's aus, Aster Charles? Wirst du mit mir die Welt retten?«

»Ich kenne dich nicht, aber ich spüre eine Verbindung zwischen uns. Und ich habe bereits alles verloren. Die Welt soll erfahren, wie sich das anfühlt.«

Thomas lachte heiter. Er stürmte zur Glocke und ließ sie einige Male erklingen.

»Von heute an beginnt ein neues Leben. Für uns und alle anderen.«

 

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